Lesetipp Oktober: Südkaukasus Trilogie von Constanze John
Lesetipp im Oktober
Tbilissi -

Seit mehr als einem Jahrzehnt zieht es Constanze John immer wieder in die Kaukasusregion. Über ihre Reisen durch Georgien, Armenien und Aserbaidschan hat sie drei Bücher geschrieben, die sich durch die Beschreibung persönlicher Begegnungen und Gespräche auf ganz behutsame Weise dem Charakter der Länder annähern.
Nach der langen Coronapause erlebt Constanze John ihren Besuch in Georgien wie eine Befreiung: "Es ist so schön, wieder hier zu sein und wieder persönlichen Kontakt zu haben." Eines ist der Autorin besonders wichtig: "Diese drei Bücher gehören zusammen und sollten als Einheit betrachtet werden, ebenso, wie man jedes der Südkaukasus Länder nur durch seine Beziehung zu den Nachbarländern verstehen kann." Wir haben die Autorin in Tbilissi getroffen und zu ihren Büchern befragt.
Constanze John über ihre Reiseerfahrungen
Wie hat das alles angefangen?
Gleich am ersten Tag in Tbilissi fühlte ich mich erfüllt – erfüllt von einer rätselhaften Freude.
Constanze John
Mein persönlicher Weg nach Georgien führte über Armenien. Als freie Schriftstellerin, dazu alleinstehend mit zwei Kindern, war lange Zeit an Reisen über Landesgrenzen hinweg nicht zu denken: Ich reiste also erstmal im Kopf. Für eine Literatin ist das kein Problem. Meine „Tür“ in den Südkaukasus wurde der armenische Komponist Wahram Babajan, den ich in Deutschland kennenlernte.
Im Jahr 2000 erhielt ich dann ein Reisestipendium des Auswärtigen Amtes und lebte für drei Wochen in der Familie des Komponisten. Weitere Reisen nach Jerewan folgten und die bis heute unveröffentlichte poetische Erzählung „Gelber Staub. Eine Reise nach Armenien“ entstand, für die ich 2013 den Johann-Gottfried-Seume-Literaturpreis erhielt. Dieser Preis war ein Schlüsselmoment.
Denn kurz darauf reiste ich erneut, diesmal aber schon im Auftrag von DuMont Reise. 40 TAGE ARMENIEN erschien und fand seine Leser. Befragt auf meine nächste Destination, war ganz klar: „Georgien!“ Denn nun wollte ich auch die Nachbarländer kennenlernen. Zudem kündigte sich Georgien als Buchmesseland an. Dass ich - in Leipzig sozialisiert - nicht nur Englisch, sondern auch Russisch spreche, erwies sich erneut als Vorteil. Und so machte ich mich auf den Weg nach Georgien.

Gleich am ersten Tag in Tbilissi fühlte ich mich erfüllt – erfüllt von einer rätselhaften Freude. Überall auf den Straßen der Altstadt stand oder saß man in dieser warmen Juninacht beisammen.
Es wurde geplaudert, gelacht, gegessen, getrunken, mitten auf der Straße kraftvoll wie elegant getanzt und andernorts polyphon gesungen. Ich war mir sicher: Hier wird gerade ein großes Fest gefeiert. „Nein“, sagte der Kellner lachend: „Heute ist kein Feiertag: Wir feiern einfach das Leben.“
Dieser erste Eindruck war für mich so stark, dass ich 40 TAGE GEORGIEN (2018) mit dem georgischen Wort Zutisopeli begann. Zutisopeli bedeutet so viel wie „Welt der Minute“ und betont die Kürze unseres Lebens.
Wo hast du das Gefühl, dass noch viel mehr bekannt gemacht werden muss?
Mit Geschichten kann - anders als durch ein Urteil – alles in Bewegung bleiben.
Constanze John
So klar für mich war, 2017 nach Georgien zu reisen, so sehr zögerte ich später bezüglich der Reise nach Aserbaidschan. Ich hatte den Konflikt um Bergkarabach bereits aus armenischer Sicht wahrgenommen, vor allem in seinen menschlichen Dimensionen, und kannte zugleich die Schlagworte von „Erdöl und Erdgas“ oder „Reichtum und Korruption“, die in Europa das Land Aserbaidschan umrissen. Um ehrlich zu sein, zog mich da nichts. Der damalige Programmleiter des Verlages aber meinte nur: „Das klingt doch interessant.“ Damit war auch diese dritte Reise gesetzt.
Und eine Art Brücke gab es ja schon: Bei einem Kunstprojekt von Kote Jincharadze hatte ich in Georgien bereits mit Chingiz Babayev und Elnur Babayev zwei aserbaidschanische Künstler, zwei Menschen kennengelernt. Ich liebte ihren Feingeist und ihre Ironie. Wir lachten viel miteinander. Und so „ausgestattet“ reiste ich schließlich nach Aserbaidschan.

Da ich zu politischen Situationen kaum Zugang habe, hielt ich mich auch in Aserbaidschan an die einzelnen Menschen, denen ich begegnete, an den Alltag, an kulturelle und spirituelle Wurzeln. Dabei sah ich mich selbst, wie der georgische Schriftsteller Giwi Margwelashvili es in seinem Buch MUZAL ähnlich inszeniert hatte, als eine Buchfigur. Und auch um mich herum geschah dann, entsprechend dieser Vorstellung, nichts mehr zufällig. Alles, was oder wer mir begegnete, gehörte dazu.
Mir kommt auch immer wieder die Reihenfolge in den Sinn, in der ich diese drei Länder bereist hatte: Nach Armenien bereiste ich mit Georgien ein Land, in dem unter anderen auch Armenier und Aserbaidschaner leben, ein Land, das sowohl Armenier als auch Aserbaidschaner gern besuchen.
Die Reise nach Aserbaidschan wiederum unterschied sich dann von allem vorherigen dadurch, dass ich hier über die Maßen oft meditierte. Ich bedurfte einer höheren Instanz. Denn anders konnte ich bereits Erlebtes und Erfahrenes mit allem Neuen nicht zusammen bringen. Und vor allem: Was war hier eigentlich meine Aufgabe?
Eine armenische Leserin meinte einmal, nachdem sie 40 TAGE ARMENIEN gelesen hatte: „Du hast unsere Seele gesehen. Wie hast du das gemacht?“ Diese Anmerkung beschenkte und überraschte mich. Ja, und wie hatte ich das nun gemacht? Ich glaube, es lag daran, dass ich einfach immer wieder Geschichten erzähle – Geschichten, die andere erzählen genauso wie Geschichten, die ich vor Ort erlebe. Mit Geschichten kann - anders als durch ein Urteil – alles in Bewegung bleiben. Nichts wird festgemacht.
Worin gibt es große Unterschiede und wo hast du etwas Verbindendes erlebt?
Unterwegs hatte ich überall Menschen getroffen, zumeist materiell sehr arme Menschen, spirituell aber stolz, würdevoll und reich.
Constanze John
Gemeinsam ist diesen drei Südkaukasusrepubliken, dass sie lange und immer wieder zu Großmächten gehört hatten. Anfang des 20. Jahrhunderts wurden Armenien, Georgien und Aserbaidschan jeweils, wenn auch nur für kurze Zeit, unabhängige Republiken. Seit dem Zerfall der Sowjetunion aber sind sie es beständig, trotz aller innen- und außenpolitischen Konflikte. Und wieviel Blut ist dabei geflossen!
Gemeinsam ist diesen drei Staaten auch, dass sie ihr Leben an der Grenze zwischen Orient und Okzident, zwischen Europa und Asien, zwischen Christentum und Islam auf ihre Art gestalten müssen, zu gestalten versuchen, dass sie es gestalten. Dabei geht wiederum jedes dieser Länder seinen ganz eigenen Weg, entsprechend seiner kulturellen und spirituellen Wurzeln, die jetzt, im Zuge der staatlichen Unabhängigkeit, wieder deutlicher ans Tageslicht treten können.

Wenn ich schreibe, erlebe ich zuerst alles ganz nah, protokolliere, nehme auf, dokumentiere, recherchiere. Im nächsten Schritt aber reise ich in die Ferne – alle drei Bücher schrieb ich in der brasilianischen Hauptstadt Brasilia. Dort schreibe ich dann wie aus dem Kosmos heraus und sehe: Da dreht sich also die Erde im All. Und dort liegen unmittelbar nebeneinander Armenien, Georgien, Aserbaidschan, scheinen durch ein unsichtbares Flechtwerk miteinander verbunden zu sein. So wie im Leben alles miteinander verbunden ist und dicht beieinander liegt – Schmerz, Freude und das Bedürfnis etwas zu tun, am besten mit den Händen.
Und auch wenn die Realität ganz anderes spricht, scheint für mich im Schreibprozess diese Vision immer wieder auf, dieser „Vorschlag“, diese Idee von Zutisopeli: Gerade weil das Leben so kurz ist, ist vielleicht das, was am Ende mit in unsere Gräber gelegt werden wird, das Gute, das wir getan haben.
Ich muss sagen: Kaum hatte ich das dritte Buch der Trilogie beendet, das Buch über Aserbaidschan, zog ein großer Frieden in mich ein. Unterwegs hatte ich überall Menschen getroffen, zumeist materiell arme Menschen, spirituell aber stolz, würdevoll und reich. Das machte mir Hoffnung. Auch wenn es im realen Außen oft ganz anders aussieht.
Wie geht es weiter?
Ich bin noch immer so froh, dass ich in diesem Sommer wieder an meinem Herzensort Georgien hatte sein können und dabei mit Gurien und Adscharien Neuland für mich entdeckte. Fasziniert von den Menschen, von der subtropischen Landschaft und nicht zuletzt von den Wolken, die zuweilen regelrecht in der Landschaft liegen, kehrte ich zurück nach Leipzig.
Mein zweiter Herzensort ist Brasilia. Dort gibt es Menschen, denen ich viel zu verdanken habe. Einige von ihnen sind hochbetagt. Ich möchte sie gern sobald als möglich besuchen.
Der Verlag DuMont Reise hat leider die Reihe REISEABENTEUER, in der auch diese, meine drei Bücher erschienen sind, eingestellt. Zwar werden 40 TAGE ARMENIEN (2. Auflage), 40 TAGE GEORGIEN (3. Auflage) und auch 40 TAGE ASERBAIDSCHAN weiter vertrieben, aber für ein nächstes Reiseabenteuer – mir schwebt 40 TAGE USBEKISTAN vor – bin ich gerade auf der Suche nach einem neuen Verlag.
Momentan schreibe ich an einem Manuskript ÜBER DAS VERBORGENE, das durch einen rätselhaften Traum initiiert wurde und im Zusammenhang mit meiner diesjährigen Georgienreise entsteht.
In Vorbereitung ist zudem eine Literarische Reise "Verborgenes Georgien" mit mir, bei Georgia Insight, die sich einerseits punktuell an 40 TAGE GEORGIEN orientieren wird, andererseits aber auch dazu einlädt, entlang der Tee-Route in Gurien Neues zu entdecken. Es geht um eine eher ruhige Reise, in einer Gruppe von 5 bis 8 TeilnehmerInnen, mit einem oder zwei Höhepunkten am Tag, dafür aber mit Raum zum kreativen Sich-Sammeln und Ver-Sammeln, Zeit zum Austausch, Zeit für Ungeplantes und für Begegnungen. Interessenten können sich ab sofort in Verbindung setzen mit: Katrin Tevdorashvili - Georgia Insight.

CONSTANZE JOHN
40 Tage Aserbaidschan
Unterwegs zwischen Kaukasus und Kaspischem Meer
386 Seiten
ISBN 978-3-7701-8299-2
DuMont Reiseverlag, September 2020
Preis: 16,95 € | Mehr

CONSTANZE JOHN
40 Tage Georgien
Unterwegs von Tiflis bis ans Schwarze Meer
412 Seiten
ISBN 978-3-7701-8293-0
DuMont Reiseverlag, August 2018
Preis: 14,99 € | Mehr

CONSTANZE JOHN
40 Tage Armenien
In einem alten Land im Kaukasus
384 Seiten
ISBN 978-3-7701-8298-5
DuMont Reiseverlag, 2014, 2. Auflage 2018
Preis: 14,99 € | Mehr
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