Nach dem erfolgreichen Gastlandauftritt im Frühling 2023 auf der Berliner Reisemesse ITB ist Georgien in aller Munde. Auch literarisch gibt es wieder einige Neuerscheinungen. Rachel Gratzfeld - Literaturvermittlerin und Expertin für Georgische Literatur - präsentiert fünf tolle neue Buchtipps aus Georgien: Mit dabei sind bekannte Autoren und Newcomer, Familiengeschichten, ein Kriminalroman und eine junge Frau, die ihren eigenen Weg geht.
Ab in den Buchladen und dann freut Euch auf spannende Lesestunden!
Ach, Leben! – Kachetische Chroniken ist ein schier epochales Werk, das vor dem Hintergrund bolschewistischen Terrors eine Geschichte erzählt, die sich über die 1920er bis in die 50er Jahre erstreckt. Sie nimmt ihren Anfang im Keller eines Hauses in Telawi, einer Stadt der ostgeorgischen Region Kachetien: Rusudan und Maka halten Totenwache für Eva. Als Kammerspiel getarnt, entfaltet sich im klammen, von Kerzenschein spärlich beleuchteten Keller ein Sujet, das um den Sarg der Verstorbenen gesponnen wird. Eingebettet in die Familiengeschichte der drei Frauen und durchdrungen von Mosaikstücken der Erinnerung wird episodenhaft erzählt – von einer entführten Leiche; von der berüchtigten „Blutigen Hochzeit“; von dem Brief, den ein Kind nach Sibirien deportierter Eltern an Stalin schreibt; von einer vergangenen Liebe, die eine tragische Wendung nimmt; von menschlichen Abgründen und davon, wie das Menschliche in einem unmenschlichen System überleben kann.
Ach, Leben! – Kachetische Chroniken ist ein reales Zeitzeugnis fiktiver Protagonisten, in dem sich alle Betroffenen und alle Lebensschicksale wiederfinden. Die Autorin selbst war Tochter eines Ökonomen, der einer kritischen Aussage wegen im Zuge des Großen Terrors 1937 hingerichtet wurde. Doch weder sie noch ihre Protagonisten verlieren im Angesicht eines Regimes, das Menschen mit aller Brutalität skrupellos zermalmt, ihr menschliches Antlitz.
In jedem von uns steckt ein Tier, sagt man. Aber steckt auch in jedem von uns ein Mensch?
Eine junge georgische Familie mitten im grauen Winter Berlins. Exilanten, die ein neues Leben beginnen müssen und doch vom alten verfolgt werden. Und ein Hochhaus, das hermetisch abgeriegelt ist, aber die ganze irrsinnige Welt zu beherbergen scheint, flüchtige Generäle, entlaufene Zootiere und jede Menge Abfall. Nur für die Zukunft ist kaum Platz. Ein intensiver Roman über den Verlust und das Finden der Sprache und die Familie als letzte Gemeinschaft in einer unwirtlichen Gegenwart.
Der Vater, ein Schriftsteller, verliert langsam seine Sprache. Die Tochter Stella spielt stattdessen dauernd mit Worten. Ihre Mutter Marika muss immer für alle Probleme eine Lösung finden. Als sie zu einem Kindergeburtstag am anderen Ende der Stadt aufbrechen, begegnet ihnen eine zweite Geschichte von einem alten Hochhaus aus Sowjetzeiten. Mit elektrischen Zäunen und vergitterten Fenstern von der Außenwelt abgeschnitten, ersticken die Bewohner zusehends im eigenen Müll. Flüchtige Generäle und entlaufene Zootiere geistern durch die Gänge und seit einiger Zeit verschwinden die Kinder. Kann der Mensch gerettet werden oder wird er sich selbst auslöschen? Wozu erzählen, worauf hoffen, wenn am Ende alle Erzeugnisse nur den Abfall vermehren? Zoorama ist die literarische Suche nach Überlebensmitteln für eine aus den Fugen geratene Welt.
Tiflis Ende des 19. Jahrhunderts. Auf dem muslimischen Friedhof wird die Leiche eines Mannes gefunden. Auf der Brust trägt der Tote eine mysteriöse Tätowierung, die einen Zweikampf zwischen Mann und Tiger zeigt. Drei Ermittler machen sich daran, den Fall zu lösen: der russische Polizeibeamte Chripli, der Ire O’Hara sowie der Franzose Louis Albré. Ihre Ermittlungen in Tabakstuben, auf Trödelmärkten, im Zirkus oder in Kaschemmen führen die drei zu ganz unterschiedlichen Lösungen.
Ein historischer Kriminalroman mit zahlreichen literarischen Anspielungen, der ein farbiges Porträt der Stadt Tiflis im ausgehenden neunzehnten Jahrhundert zeichnet und gleichzeitig ein geistreiches Verwirrspiel mit den Lesenden treibt.
Es ist hart, die eigene Unschuld zu beweisen, wenn Kriminelle dich mit dem Tod bedrohen und dein Land kein Rechtsstaat ist, wenn der Staatsanwalt den Fall bloß zum Abschluss bringen und einen „Schuldigen“ nach Sibirien schicken will. Und es ist noch härter, ein halbes Leben in russischen Gefängnissen und Lagern zu verbringen wegen eines Verbrechens, das du nie begangen hast, tödlicher Kälte, Tuberkulose und all jenen – Mitgefangenen wie Wärtern – zu widerstehen, die dich nicht mögen und dich ohne weiteres um die Ecke bringen würden. Es ist hart, dabei den Verstand nicht zu verlieren. Und es ist nur auszuhalten, weil du weißt: Zu Hause wartet die Liebe deines Lebens auf dich. Dieser abenteuerliche Roman beschreibt die Odyssee des jungen Dschude, der, noch bevor er in Sowjet-Tbilissi sein Leben beginnen kann, Zufallsopfer der georgischen Mafia und des korrupten Staates wird und erst nach einem halben Leben zurückkehrt, gerade als mit der Rosenrevolution eine neue Ära anbricht. Zugleich erzählt der Roman die Geschichte einer großen, unverbrüchlichen Liebe.
"Diese Art Literatur hat es hier bisher noch nie gegeben!" Saal Andronikaschwili, Literaturkritiker
"Einer der eindrucksvollsten Romane über Sowjet- und Postsowjet-Georgien, die ich je gelesen habe. Voller Humor, Melancholie und Abenteuer." Dato Turaschwili, Autor
Die 48-jährige Etero führt einen kleinen Laden in einer georgischen Provinzstadt. Ihre eintönigen Tage gleichen sich, und es scheint, als gäbe es nichts, was die dumpfe Routine stören könnte – bis zu dem Tag, an dem sie beim Pflücken frischer Brombeeren in Lebensgefahr gerät. Von da an rechnet sie ab mit der strikten patriarchalischen Ordnung der georgischen Provinz, die Frauen lediglich die Wahl zwischen einer frühen Ehe oder einem Leben in Einsamkeit zugesteht. Sie erlaubt sich Dinge, die sie sich vorher niemals zugetraut hatte. Sie entdeckt ihren Körper und verliebt sich – beides undenkbar in ihrer Kleinstadt. Etero muss sich mit ihren neu entdeckten Gefühlen auseinandersetzen und entscheiden, wie sie ihren eigenen Weg zum Glück finden kann.
--- AKTUELL: Das Buch wurde von Elena Naveriani verfilmt. Die Premiere findet am Filmfestival in Cannes 2023 statt. ---