Der georgische Tanz

It's not a regular dance; it is hot Georgian soul not capable of living without dancing.

Olga Kholodovich, russische Journalistin, 2011

Der georgische Tanz ist wilde Leidenschaft verbunden mit vollkommener Körperbeherrschung. In atemberaubender Geschwindigkeit wirbeln die Tänzer über die Bühne und liefern sich spektakuläre Schwertkämpfe, dass die Funken sprühen, umrahmt von den sagenhaft weichen Bewegungen ihrer Tänzerinnen in vollendeter Anmut und Harmonie.

Ihre Körperbeherrschung lässt den Atem stocken. Wie von einem Bogen geschnellte Pfeilspitzen schwirren sie über die Bühne, absolut synchron. Das was sie zeigen, ist viel mehr als nur Folklore. Es ist Akrobatik in höchster Vollendung.

General Anzeiger Bonn

Unter den zahlreichen Kulturschöpfungen ist der georgische Tanz sicher das lebendigste Zeugnis ihrer langen wechselvollen Vergangenheit. Mit Elementen von Riverdance, Ballett und asiatischem Kampfsport hat er den Bereich schlichter Bauerntänze verlassen und künstlerisches Spitzenniveau erreicht, Georgier trainieren Jahrzehnte bis zur Vollkommenheit.

Georgische Tanzmusik

Begleitet werden die Tänze virtuos auf kaukasischen Instrumenten: Handtrommeln, Hirtenflöten und typisch georgischen Saiteninstrumenten, bei denen man mitten im Spiel die Wirbel verdreht um in andere Tonlagen zu wechseln, auch Akkordeon und in den höheren Bergregionen auf der traditionellen Sackpfeife (ähnlich dem Dudelsack).

Die prächtigen, reich verzierten Kostüme sind Trachten der verschiedenen georgischen Provinzen und die strengen Bewegungsabläufe haben ihren Ursprung im kriegerischen Leben und ländlichen Alltag: Weintrauben ernten, Wasser holen, Reiten und Kampf mit anschließenden Hochzeitfeiern in ausgelassener Lebensfreude.

Mann und Frau im georgischen Tanz

Georgische Tänzerin

Besonders eindrucksvoll ist bei allen georgischen Tänzen das Verhältnis von Mann und Frau. Ehrfurcht und Ritterlichkeit hält den Mann vor körperlicher Berührung zurück. In respektvoller Distanz umwirbt er seine Dame und nur Bewegung, Blick und Körperspannung verraten Erregung und Begehren.

Der Georgische Tanz erzählt vor allem Geschichten. Er vertritt eine hohe Moral und ist noch immer elementarer Bestandteil georgischer Kultur. Jeder Georgier lernt die Grundschritte schon im Kindergarten und an fröhlichen Festen wird auch getanzt.

Georgische Tänze

Die bekanntesten Tänze aus Georgien

Kartuli

Der klassische Hochzeitstanz

Der Kartuli ist der bekannteste georgische Tanz und wird meist als Erföffnungstanz an georgischen Hochzeiten von Braut und Bräutigam getanzt. Der Tanz ist ein Loblied auf die weibliche Anmut und Vollkommenheit sowie männliche Eleganz und Ritterlichkeit.

Während der Mann versucht, mit Schnelligkeit und Eleganz die Frau auf sich aufmerksam zu machen, ist es Aufgabe der Frau, schwanengleich an ihm vorüber zu "schweben", ohne auch nur mit einem Wimpernschlag zu zeigen, dass sie ihn überhaupt bemerkt.

Bei diesem Tanz zeigt sich der Einfluss des klassischen Balletts am stärksten, die Tänzer umkreisen einander wie Porzellanfiguren auf einer Spieluhr.

Atscharuli

Die kokette Leichtigkeit der Schwarzmeervölker

Sehr viel offensiver geht es im Tanz Atscharuli zu. Die Tänze der Bewohner der Schwarzmeerküste sind kokett und sinnlich. Die Beziehung zwischen Mann und Frau ist von einer spielerischen Leichtigkeit und die Frauen übernehmen hier eine selbstbewusste Rolle.

Tänze der Bergvölker

Kämpfen, dass die Funken sprühen

Auch die Bergtänze aus den Bergregionen Chewsuretien, Mtiuletien und Kasbegi erzählen von Liebe und Werbung. Die Begegnung zwischen Mann und Frau beginnt an einer Wasserquelle, der einzige Ort, an welchem junge Männer und Frauen einander ohne den wachsamen Blick der Älteren begegnen konnten. Mit den traditionellen georgischen Kurzschwertern "Chandschali" kämpfen die jungen Werber um die Gunst der Frauen.

Bei den georgischen Bergtänzen Chewsuruli, Mtiuli, Zdo geht es immer darum, den Respekt der Frau durch Verwegenheit und Wettbewerb zu erringen.

Ein Kampf entbrennt zwischen zwei Konkurrenten und ihren Unterstützern. Mit wilden, akrobatischen Sprüngen stürmen die Kämpfer aufeinander zu und schlagen mit ihrem Schwert auf die Schwerter und Schilde der Gegner, dass die Funken sprühen.

Die Schlacht endet unmittelbar, sobald die Frau ein weißes Tuch zwischen die Kämpfer fallen lässt.

Auf kleinen Bühnen ist das Kampfgetümmel oft so temperamentvoll, dass sich die vorderen Zuschauer in die hinteren Reihen flüchten.

Chorumi

Tanz der Krieger "Kraft durch Einheit"

Der Chormui Tanz ist ein reiner Männertanz, der von bis zu 30 Männern getanzt wird und von der Disziplin und dem perfektem Zusammenspiel zwischen den einzelnen Kämpfern handelt.

Der Chorumi hat seinen Ursprung in der Zeit der vielen Invasionen durch Mongolen und Osmanen und handelt von der notgedrungenen permanensten Kriegsbereitschaft und der Wichtigkeit, als Einheit zu siegen.

Samaia

Tanz der Königin

Der Tanz Samaia wird von drei Frauen oder mehreren Frauen in Dreiergruppen getanzt, sein Ursprung liegt vermutlich in vorchristlicher Zeit.

Der heutige Samaia repräsentiert Königin Tamar und ihre Herrlichkeit, die schlichten Bewegungen sind anmutig und sanft. In dreifacher Weise wird die Königin verehrt:

  • als junge Prinzessin
  • als weise Mutter
  • als mächtige Königin

Königin Tamar war im 12.-13. Jahrhundert "König des Vereinigten Königreichs Georgien" und die erste weibliche Königin in der Geschichte Georgiens. Als einzige Frau durfte sie den männlichen Titel "König" tragen. Die Jahre ihrer Regentschaft galten als die Goldene Blütezeit Georgiens.

Es sind in ganz Georgien nur vier Fresken erhalten geblieben, die das Bild von Königin Tamar zeigen. Kostümbildner Simon Virsaladze schuf die Gewänder der Samaia Tänzerinnen anhand der Darstellung auf diesen Fresken.

Kinto

Die Händler des alten Tiflis

Der Kinto od. Kintauri Tanz wird ausschließlich von Männern getanzt, doch im Gegensatz zu den Bergvölkern bewegen sich die Tänzer im Kinto weich und raffiniert.

Die Kintauri Tänze haben ihren Ursprung in der Kinto Szene. Die Kinto waren Händler aus der Unterschicht im Tiflis des 19. Jahrhunderts, die ihren Lebensunterhalt als Unterhalter in den Tifliser Schankstuben, den Dukani, verdienten.

Ihre Tänze sind leichtfüßig und erfordern sehr viel Raffinesse und Feingefühl. Im schwierigsten Teil balancieren die Tänzer eine Weinflasche auf dem Kopf. Oskar Schmerling, ein georgischer Künstler deutscher Herkunft, schuf einige der treffendsten Darstellungen:

Ein Symbol für mehr Toleranz

Die Kinto waren allgemein bekannt für ihre unkonventionelle Lebensweise, u.a. war Homosexualität kein Tabuthema und wurde (da es sich um eine Randgruppe handelte) von der Gesellschaft weitgehend toleriert. Heute ist die Darstellung des Kinto mit Regenbogen Flagge daher ein Hauptsymbol der "Tbilisi Pride Movement" für mehr Toleranz.

Das georgische Tanzensemble Sukhishvili

Die Wahrheit über sich selbst sagen - das ist der größte Reichtum eines Volkes, umso mehr, wenn sie mit einer solchen Eleganz ausgesprochen wird.

Über Sukhsishvili

Georgische Tänzer Iliko Sukhishvili & Nino Ramishvili © Sukhishvili

Das erste staatliche Tanzensemble gründeten im Jahr 1945, direkt nach dem 2. Weltkrieg, die Tänzer Iliko Sukhishvili und Nino Ramishvili.

Sehr schlank, biegsam und schwerelos im Flug, tauschte sie mitunter das Frauenkostüm gegen eine Männertracht. Sie zog ein Beschmet (weißes kaukasisches Hemd) oder eine Tscherkesska (kragenloser Kaftan) an, stieg in weiche Stiefel, stülpte sich eine gekräuselte Papacha (Pelzmütze) auf den Kopf und reihte sich unter die männlichen Tänzer ein.

Über Nino Ramishvili

Zahlreiche georgische Tänze aus allen Regionen wurden zusammengetragen und erstmals choreographisch für die Bühne bearbeitet.

Neben den kultivierten Tänzen der Aristokratie traten die funkensprühenden Kampfspiele der kaukasischen Bergvölker, der koketten Leichtigkeit der Schwarzmeervölker folgte die subtile Rafinesse konkurrierender Handwerker aus dem alten Tiflis.

Mit jedem neuen Tanz wurde eine eigene historische Vergangenheit lebendig. Dem kreativen Tänzerpaar Sukhishvili / Ramischvili ist es zu verdanken, dass sich die Tänze auf hohem Niveau weiterentwickelten und über die georgischen Grenzen hinaus international bekannt wurden.

Für das Design ihrer Kostüme gewannen sie den georgischen Chefdesigner des Sankt Petersburger (Leningrader) Kirov National Balletts Simon Virsaladze (1908/09-1989), u.a. bekannt für seine Ausstattung der klassischen Schwanensee und Nussknacker Inszenierung.

Das Georgische Nationalballett Sukhishvili

Im Laufe ihrer Geschichte hatte die "Sukhishvili - Georgian State Dance Academy" Auftritte an allen bedeutenden Bühnen der Welt: der Royal Albert Hall, dem Coliseum, der Metropolitan Opera, im Medison Square Garden und 1967 als erste und einzige Folkloregruppe sogar im La Scala, Mailand. 1990 avancierte ihre Performance am Broadway zur "Best Show of the Year".

In mehr als 1.700 Städten in 88 Staaten absolvierte das Tanzensemble mehr als 200 Tourneen für mehr als 50 Millionen Zuschauer (Stand 2013) und wurde zum prägenden Vorbild für Generationen weiterer Tänzer und Tanzgruppen im Land.

Unbestreitbar, es gibt in der Welt keine bessere professionelle Truppe. (...) Schritte, Rhythmus, Musik und Akrobatik entstammen der georgischen Volkstradition, all das wurde jedoch verfeinert und in die Sprache des Theaters übersetzt, mit dem Ergebnis eines Zusammenklangs wunderbarer künstlerischer Einheiten.

The Washington Post

Trotz seiner internationalen Erfolge ist das Nationalensemble Sukhishvili ein Familienunternehmen geblieben. Chefchoreograf ist der Enkel liko Sukhishvili. Seine Schwester Nino Sukhishvili ist stellvertretende Managerin und Kostümbildnerin.

Das Ensemble Sukhishvilebi wurde durch seine Arbeit prägendes Vorbild für Generationen weiterer Tänzer und Tanzgruppen im Land und hat die Grundlage dafür geschaffen, dass der georgische Tanz in Georgien als Nationalgut gepflegt und etabliert wurde.

Alle großen georgische Restaurants bieten neben Life Musik meist auch georgische Tanzdarbietungen, und zwar nicht nur als Touristenatraktion, sondern vor allem zur Unterhaltung für die Georgier selbst.

Mehr über das Tanzensemble Sukhishvili: Georgisches National Ballett Sukhisvhili | Kulturgeorgien.de

Transformation des Georgischen Tanz

Der Volkstanz ist kein Museumsstück und kein Artefakt. Er ist eine lebendige, stets in Erneuerung begriffene Struktur, der Lebenssaft, das Leben selbst.

Iliko Sukhisvhili, Gründer des Sukhishvili Ensembles

Der Erfolg und das Bedürfnis, die georgischen Tänze unendlich zu konsumieren, hatte zur Folge, dass der Tanz in seinen Formen wenig Weiterentwicklung erfuhr. Die georgischen Tanzensembles beschränkten sich auf das Repertoire der alten Bewegungen und ihre Perfektionierung. Auch die Kostüme sind weitgehend historisch geblieben.

Iliko und Nino Sukhishvili gehören wieder zu den ersten, die es wagten, den Georgischen Tanz aus dem Bereich des Folkloristischen heraus zu heben.

Mit viel Mut und Kreativität entwickelten sie Bewegungen, Kostüme, Arrangements und Geschichten weiter. Die neuen Projekte werden mit verhaltenem Interesse angenommen. Bei den meisten Georgien stoßen sie auf Unverständnis.

Die reduzierten Kostüme lenken den Fokus auf die Dynamik und Sinnlichkeit der Bewegungen. Auch die neue Generation Sukhishvili schafft es, das Charakteristische des Georgischen Tanzes - die Spannung zwischen dem Männlichen und Weiblichen - zu thematisieren und auf eine neue Stufe zu heben.

Wer hätte das gedacht ...

Eve of the Daleks © Dr. Who

Eve of the Daleks

Der Drehbuchautor Terry Nation war von der Performance der über den Boden gleitenden Tänzerinnen in Georgien so inspiriert, dass er daraus 1963 mit dem BBC Designer Raymond Cusick die Figur der außerirdischen "Daleks" für die Science Fiction Kultserie "Doctor Who" konzipierte. Quelle: R. Justin "Doctor Who", S.26

Aufgrund ihrer eigenwilligen Bewegungen entwickelten sich die bösen Daleks zu den bekanntesten und beliebtesten Kontrahenten in der britischen Popkultur.

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