Die georgische Tafel - Supra

Eine traditionelle Supra in Georgien
Traditionelle Supra in Georgien © Nino Kankava

Gaumardschoss, Sei siegreich ... Mit diesen Worten erhebt der Georgier sein Glas, damit wird jeder Prost bekräftigt und nur so ist es zu erklären, wie das georgische Volk sich behaupten konnte, trotz ständiger Invasionen und Fremdherrschaften auf- und untergehender Großmächte.

Der Gast ist ein Geschenk Gottes.

Georgisches Sprichwort

Jeder Gast, der nach Georgien kommt, wird einmal zu einer georgischen Tafel geladen sein und an diesem besonderen Zeremoniell teilnehmen. Entgegen landläufiger Annahme, handelt es sich hierbei nicht nur um üppiges Essen mit übermäßigem Weingenuss.

Die Georgier pflegen mit ihrer ritualisierten Tafelrunde einen Ort der Kommunikation, an dem alle Themen zur Sprache kommen können. Dieser imaginäre Raum, hervorgebracht durch Redekunst und Gesang, trägt ein Urbild in sich: Eine Suche nach Harmonie, an der - zumindest vorgestellt - die ganze Menschheit teilhaben könnte.

Marika Lapauri-Burk

Tamada, der Tischführer

Tamada Skulptur in Tbilissi (Georgien)
Tamada Skulptur nach einem Original aus dem 7. Jh. v. Chr.

Zu Beginn wird ein Symposiarch, georgisch: "Tamada", ernannt und mit der bedeutsamen Aufgabe der Tischführung betraut. Er ist verantwortlich für das Wohlergehen seiner Gäste, und - das werden alle ausländischen Gäste bestätigen - er bezieht den Einzelnen in die Gesellschaft ein.

Mit reichhaltigem Essen, Wein und meisterhaftem Wortaufgebot wird ein guter Tamada jeden Versuch unterbinden, sich verloren oder fehl am Platz zu fühlen. Die georgische Tafel erfüllt in dieser Hinsicht einen wichtigen gesellschaftlichen Akt der Integration.

Tamada ist in der Regel jemand mit Erfahrung. Er muss körperlich den Anforderungen gewachsen sein, eine gewaltige Menge Wein vertragen und dabei geistig rege bleiben, denn bei den nun folgenden Trinksprüchen sind Kreativität, Scharfsinn, Originalität und Witz gefordert.

Georgische Trinksprüche

Ein Trinkspruch in Georgien © Katrin Tevdorashvili

Stehend und mit erhobenem Glas spricht der Tamada im Laufe des Abends die verschiedenen Segenswünsche auf den Gastgeber und den Anlass, auf die Kinder, die Verstorbenen, Mütter, Ehefrauen, Frauen, Gäste, Freunde, Nachbarn, Friede und Schutzheilige.

Im Anschluss daran erhebt jeder der Anwesenden nacheinander sein Glas, um diesem Wunsch mit eigenen Worten Nachdruck zu verleihen, der Form sind keine Grenzen gesetzt: Zitate großer Dichter, musikalische Einlagen bis zur Tanzdarbietung, alles ist erlaubt.

Einer gewissen Tyrannei kann man sich dabei nicht entziehen. Man wird regelmäßig aufgefordert, den Trinksprüchen der anderen aufmerksam zuzuhören, zu gegebener Zeit die rechten Worte zu finden und vor allem jedes Mal sein Glas zu leeren, ohne dabei betrunken zu werden. Denn Trunkenheit gilt in Georgien als eine Schande.

Die Georgier verstehen Wein nicht als Alkohol sondern als eine Art Persönlichkeit, mit einer Seele, einem Charakter, einer Herkunft und einer Aufgabe: Vermittler zu sein zwischen den Menschen.

Vor jedem georgischen Prost werden die Gläser aufs neue gefüllt, als sei gerade die Unberührtheit die Voraussetzung für einen wirkungsvollen Segen. Wenn man nicht trinken möchte - was selbstverständlich akzeptiert wird - lässt man sich trotzdem einschenken und nippt eben nur symbolisch ein Schlückchen.

Bedeutung der Trinksprüche

Ein georgischer Tisch in Kachetien
Georgischer Tisch - Supra © Katrin Tevdorashvili

Was macht den Gehalt aus? Es ist wohl vor allem das Lob. Es geht darum an den Menschen etwas Lobenswertes zu entdecken und dies mitzuteilen. Selbst wenn es im Alltag Streit und Schwierigkeiten gibt, so werden diese nicht an den Tisch herangetragen.

Der georgische Tisch weist da gewisse Parallelen zur psychotherapeutischen Gruppenarbeit auf. Der Andere wird grundsätzlich mit Liebe und Achtung begrüßt, was soweit führen kann, dass er sich dadurch selbst höher schätzen wird als vorher, was sich wiederum heilsam auf sein Leben auswirkt (vgl. Dr. Levan Gvelesiani "Die georgische Tafelrunde").

Man muss den georgischen Tisch als vielschichtiges Ritual begreifen. Es ist eine Art Fortsetzung der kirchlichen Liturgie auf weltlicher Ebene, von Mensch zu Mensch. Was nicht in den Segenskanon der Kirche gehört, wird hier ausgesprochen. Das georgische Wort für "Tafel" bedeutet auch "Altar".

Die Supra ist eine wichtige Errungenschaft der spirituellen georgischen kulturellen Tradition!

Geoweinland.de

Wie alt ist die georgische Tischkultur?

Es ist nicht bekannt, wann sich diese Form der ritualisierten Tischkultur in in Georgien entwickelt hat. Der Anthropologist Florian Mühlfried stellte die Behauptung auf, dass es sich bei der Supra um eine im 19. Jahrhundert "erfundene" Tradition zur nationalen Selbstfindung handelt (vgl. Florian Mühlfried "Postsowjetische Feiern: Das Georgische Bankett im Wandel").

Aus zahlreichen Reisebeschreibungen und historischen Texten geht jedoch hervor, dass eine ähnliche Tischkultur seit Jahrhunderten im gesamten Kaukasus verbreitet war:

Zuhause haben sie massive Goldgefäße, die 30-50 Dukaten kosten würden. Auch silberne, daraus trinken sie bei imposanten Feierlichkeiten. Diese Zeremonie ist bei ihnen mehr ausgestaltet als alle anderen Sitten. Sie trinken andauernd und im Namen Gottes und der Allerheiligen auf die Gesundheit Gottes, auf die Erinnerung an Freunde und auf die Erinnerung an alle wichtigen und bemerkenswerte Siege. Sie trinken mit großer Festlichkeit und Respekt als ob es einen Gottesdienst zu vollziehen gilt. Sie sind ohne Kopfbedeckung als ein Zeichen der höchsten Demut.

Giorgio Interiano aus Genua, im 15. Jahrhundert über die Tscherkessen (Nordkaukasus)

Besondere Bedeutung hat hier der Fund einer Bronzeskulptur mit Trinhorn aus dem 6. Jahrhundert v. Chr., die in ihrer Haltung unverwechselbar an einen georgischen Tamada erinnert.

Den wohl wichtigsten Hinweis auf die Jahrhunderte alte Tradition der ritualisierten Tischkultur liefern die Tafelgesänge aus den unterschiedlichen georgischen Regionen.

Der georgische Tafelgesang

Sie bauen Wein an [...] und singen lustige Lieder.

Sergon II., König von Assyrien 714 v. Chr. über die Georgier

Einen guten Einblick in die Tradition des georgischen Tafelgesangs gibt die Dokumentation von Marika Lapauri-Burk.

Der Gast ist ein Geschenk Gottes

Heute ist die Supra das wohl wichtigste Element georgischer Identität. Bei wichtigen Anlässen wie Hochzeit, Taufe oder Begräbnis sind oft mehrere hundert Gäste daran beteiligt.

Die Georgier feiern gerne und ausgiebig. Vielleicht liegt hier die Antwort, warum Gäste in Georgien noch heute so willkommen sind.

Die georgische Trinkkultur auf einer Weinreise kennen lernen: Weinreise Georgien 7 Tage

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