Deutsche Siedler in Georgien

Die Einwanderung der Deutschen in den Südkaukasus begann ab 1817 mit Unterstützung des Zarenreichs. Ein großer Teil der Kolonisten waren württembergische Schwaben. In mehreren Etappen gründeten sie Siedlungen in Niederkartlien, nahe der Hauptstadt Tbilissi sowie in Sochumi (Abchasien).

Bekannte schwäbische Dörfer im Kaukasus waren:

  • Katharinenfeld (heute Bolnissi in Niederkartlien)
  • Elisabethtal (heute Assureti in Niederkartlien)
  • Marienfeld (heute Sartitschala östlich von Tbilissi)
  • Annenfeld und Georgsfeld (heute Schamkir in Aserbaidschan)
  • Helenendorf (heute Goygol in Aserbaidschan)

Fachwerkhäuser und Wirtschaftsgebäude zeugen noch immer von der typisch schwäbischen Lebensweise. Im ehemals deutschen Viertel entlang der Aghmashenebeli Straße befindet sich heute die Evangelisch-Lutheranische Kirche.

Geschichte der Deutschen Siedler

Zwischen 1764 und 1767 kamen die ersten Einwanderungsgruppen aus dem vom Siebenjährigen Krieg verwüsteten Deutschland nach Georgien. Weite Ländereien waren von Katharina II. zur Besiedelung freigegeben worden, um die russische Staatsmacht in den Grenzgebieten zu festigen.

Motivation für die Kolonisten waren nach Jahren politischer Unruhen, religiöser Verfolgung und Hungersnot zahlreiche zugesicherte Privilegien: Freie Wahl des Siedlungsortes, Glaubensfreiheit, Selbstverwaltung, Steuerbefreiung und Befreiung vom Militärdienst.

Die Pietisten

Die ersten Siedler waren separatistische Pietisten, eine Glaubensgemeinschaft innerhalb der evangelischen Kirche, die wegen ihrer Forderung nach Unabhängigkeit und Selbstbestimmung von der kirchlichen und staatlichen Obrigkeit des 19. Jahrhunderts nur schwer geduldet wurden.

Neben wirtschaftlichen Gründen waren es auch religiöse Beweggründe, die die Menschen dazu veranlasste, sich in sogenannten „Harmonien“ zum gemeinsamen Aufbruch ins gelobte Land zu versammeln. Im Jahre 1836 erwarteten die Pietisten die Wiederkunft Christi in Jerusalem.

Die strenggläubigen Pietisten waren überzeugt vom nahenden Weltende. Die französische Revolution, der andauernde Krieg in Europa und die Hungersnöte schienen deutliche Zeichen. Den Aufforderungen des Johannesevangeliums folgend, suchten Sie nach einem Zufluchtsort für das Zeitalter des Antichristen, einem Ort, wo das neue Volk Gottes bewahrt werden sollte.

Da Palästina zu dieser Zeit noch unter Osmanischer Herrschaft stand, wählten Sie sich die Berge des Kaukasus um den wiedererscheinenden Christus zu erwarten. Georgien wurde zum neuen gelobten Land.

Gründung deutscher Siedlungen

500 Familien erreichten nach erheblichen Strapazen im Herbst 1817 den Kaukasus und gründeten erste Siedlungen in Georgien.

Der Beginn des Kolonielebens war von Hunger und Armut geprägt, es kam zu Epidemien und Missernten, hinzu kamen wiederkehrende Überfälle der Perser und Tartaren.

Eine zweite Einwanderungswelle erreichte Georgien Anfang des 19. Jahrhunderts. Auf Einladung des russischen Zaren Alexander I., kamen in den Jahren zwischen 1818-1819 weitere 2.600 deutsche Siedler nach Georgien.

Wohlstand und Gemeindeleben

Die schönen, in Reihen gebauten Häuser der Deutschen mit ihrem schönen Schulgebäude und der großen Kirche inmitten der Gärten im Mondlicht ziehen die Aufmerksamkeit des Reisenden an.

M. Janaschwili 1883 in der Zeitung “Droeba” (Nr. 123)

Trotz aller Rückschläge erlangten die deutschen Siedlungen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine regelrechte Blütezeit, wobei mit dem Wohlstand auch das evangelische Gemeindeleben wuchs. Die deutsche Minderheit war ökonomisch unabhängig, kirchlich-religiös stabil. Insgesamt lebten etwa 45.000 Deutschstämmige im Südkaukasus, die meisten davon in Georgien.

In Tbilissi entstand das deutsche Dorf Marienfeld um die heutige Aghmashenebeli Avenue. Die Siedlung lag gegenüber der Altstadt auf der anderen Seite des Flusses und war bei der georgischen Bevölkerung hochgeschätzt für die gepflegten Gartenanlagen, bessere hygienische Bedingungen und die gesunde Lebensweise seiner Bewohner.

Wenn man heute durch das ehemals deutsche Viertel spaziert, kann man zahlreiche Jugendstilvillen sehen, die von dem Wohlstand der deutschen Siedler während jener Jahre zeugen.

Die deutschen Kolonisten haben in einem Vorort von Tbilisi, in Kukia, den Weg entlang, der parallel zum Fluss verlief, Wohnhäuser errichtet. Die schmalen Fassaden der einstöckigen Häuser kamen auf die Hauptstraße und die Häuser selbst entwickelten sich in die Tiefe des Viertels. Die Häuser waren von Gärten und Weinbergen umgeben. So wurde der Kukiaweg zur Michelsstraße. 1899 wurde sie Michael-Prospekt genannt.

Gedenkschrift an der Aghmashenebeli Straße

Antideutsche Bewegungen

In Folge der russischen Niederlage im Krimkrieg (1853-1856) kam es zu wachsenden antideutschen Ressentiments. Der sich schnell ausbreitende Panslawismus und die immer größer werdende Missgunst allem Deutschen gegenüber führten schließlich zur Aufhebung der Rechte und Privilegien, die den deutschen Umsiedlern und ihren Nachkommen "für ewige Zeit" von Katharina II. versprochen worden waren. 1871 wurde die Selbstverwaltung der Kolonien aufgehoben und Deutsch als Amtssprache abgeschafft. Ab 1880 wurde Russisch als Unterrichtssprache in den Schulen eingeführt.

Machtübernahme der Kommunisten

Mit der Machtübernahme der Kommunisten wurde dem blühenden Gemeindeleben in Georgien ein Ende gemacht. Die Kolonien verloren ihre wirtschaftliche Eigenständigkeit sowie ihre kirchliche Souveränität, und bereits im Jahre 1931 wurden Gottesdienste und Versammlungen der Lutherische Kirche in Tbilissi verboten. Der Oberpastor der Gemeinde, Richard Mayer, wurde, wie viele andere der lutherischen Geistlichen, ermordet.

Die Folgen der Kollektivierung, der Enteignung und der Verfolgung führten 1932/33 zum ersten Mal in der Geschichte der deutschen Kolonien zu einer schweren Hungersnot. Die Stimmung in den Kolonien war verzweifelt.

Wir sind jetzt in einer solchen verzweifelten Lage und finden keinen Ausweg. Es soll nämlich alles zu einem Kollektiv gemacht werden, das ganze Dorf, zu dem wir aber nicht dazu dürfen und es heisst, dass wir ganz ausgewiesen werden. Stelle Dir nun den Jammer vor, wenn das wahr würde. Die Reichsdeutschen, die haben es noch gut, die können gehen. Aber wir können nirgends hin. Heute Abend und schon die ganze Woche sind Sitzungen, die über unser Schicksal entscheiden sollen. [...] Alle, wer nur kann, verkaufen ihre Sachen und gehen. [...] (Du schreibst, ob Du uns nicht besuchen kannst. Ich will Dir nur sagen, wenn Du nicht Reichsdeutsche bist, kannst Du nicht zurück. Und hier bleiben, das heisst, lebendig begraben zu sein). Es sind jetzt viele Bettler aus Russland hier. Wer weiss, ob wir ihr Schicksal nicht bald teilen.

Brief aus den Akten des deutschen Konsulats in Tbilissi

Deportationen nach Sibirien

In den folgenden Jahren wuchs der Bedarf an billigen Arbeitskräften, um die Urbanisierung und die Industrialisierung der Sowjetunion möglichst schnell voranzutreiben. Zu diesem Zweck wurde auch die deutsche Bevölkerung der UdSSR nach Karelien, Kasachstan und Sibirien in die sogenannten "Sondersiedlungen" verschleppt, die meist nur aus nackter und wilder Steppe bestanden. Es waren schwer erschließbare und klimatisch unwirtlichste Gebiete, die Tagestemperaturen in den Kohlegruben betrugen minus 20 Grad.

Viele Deutschstämmige aus Georgien flohen ins Ausland oder kehrten, solange sie noch konnten nach Deutschland zurück. Im Jahre 1941, kurz nach dem Überfall Hitlerdeutschlands auf die Sowjetunion, wurden schließlich alle Kaukasiendeutsche, die nicht mit Georgiern verheiratet waren, nach Sibirien und Kasachstan deportiert. Zu diesem Zeitpunkt lebten allein im Dorf Katharinenfeld 6500 Einwohner, fast 6000 Menschen mussten die Stadt verlassen.

Die Kirchen der schwäbischen Ur-Kolonien wurden zu Sport- und Freizeitzentren umfunktioniert oder zerstört, wie die Peter- und Paul-Kirche in Tbilissi, welche 1946 auf Befehl der Sowjets von den deutschen Kriegsgefangenen selbst abgerissen werden musste.

Rückkehr der Deutschen

Nachdem die UdSSR den Kriegszustand mit Deutschland Anfang 1955 für beendet erklärt hatte, begannen die Verhandlungen um eine Wiederaufnahme diplomatischer und wirtschaftlicher Beziehungen zwischen den beiden Ländern. Das Regime der „Sondersiedlungen“ wurde Ende 1955 aufgehoben, was für die Kaukasusdeutschen bedeutete, dass sie den Ort ihres Gewahrsams verlassen durfte, allerdings durften sie vorerst nicht in ihre Heimatorte zurückkehren. Die Dörfer waren weitgehend zerstört worden und erhielten mit den neuen Bewohnern neue Namen.

Verein zum Erhalt des deutschen Kulturguts im Südkaukasus

Eine genaue Dokumentation der noch existierenden Häuser und Friedhöfe sowie Maßnahmen zum Schutz des Kulturerbes erfolgt auf Initiative des Vereins zum Erhalt des deutschen Kulturguts im Südkaukasus unter der Leitung von Dr. Oliver Reisner.

Kontakt: Verein zur Bewahrung deutschen Kulturguts im Südkaukasus

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